Über eine globale Minderausgabe und eine ziemlich verantwortungslose CDU im Thüringer Landtag

Steffen Dittes
Landtag

Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, Mario Voigt, wirft in einem Interview mit der Thüringer Allgemeine (erscheint am 30. Mai 2022 gedruckt) der Landesregierung vor, die falschen Schwerpunkte zu setzen und etwa bei der Bildung zu kürzen: „Wenn die Landesregierung weiterhin den Kauf von Lastenfahrrädern fördert, aber bei Jugendclubs kürzt oder Schulgebühren für Gesundheitsberufe wieder einführt, setzt sie falsche Schwerpunkte.“

Das ist weder neu noch überraschend. Bereits in der abschließenden Beratung zum Haushalt 2022 habe ich am 3. Februar 2022 an die CDU gerichtet formuliert: „Ich werde Sie im kommenden Jahr immer wieder (an ihre Verantwortung) erinnern, wenn Sie sich einzelne Titel raussuchen, die eben nicht in dem gewünschten Umfang, den wir heute auf den Weg bringen, realisiert und ausgegeben worden sind, und dann mit dem Finger auf die Landesregierung zeigen, aber Ihre eigene Verantwortung für die Globale Minderausgabe nicht mehr benennen.“ (Plenarprotokoll der. 72. Sitzung des Thüringer Landtages am 03.02.2022)  

Um es konkret und praktisch zu machen: Ohne die von der CDU-Fraktion geforderte Globale Minderausgabe würde heute in Thüringen nicht über die Schulgeldfreiheit für die Ausbildung von Pflege- und Gesundheitsberufen an privaten Schulen oder über den Umfang der örtlichen Jugendhilfe, der Erwachsenenbildung oder der Familienförderung geredet werden. Denn diese waren nach dem Vorschlag der Rot-Rot-Grünen-Landesregierung finanziert und gesichert. Dass wir darüber diskutieren, dafür ist die von der CDU zur Bedingung für eine Zustimmung zum Haushalt erklärte Globale Minderausgabe ursächlich. Und diese Verantwortung kann sie nicht leugnen.

Noch im Januar, die Verhandlungen zwischen LINKE, SPD und Grüne mit der CDU waren gerade abgeschlossen, da feierte sich der CDU-Fraktionsvorsitzende in eigens verfassten Pressemitteilungen: „Der Politikwechsel für Thüringen kommt.“ Der Haushalt „korrigiert die verfehlte Politik der vergangenen Jahre“ und setze wieder „richtige Signale“ in der Familien-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. „Die CDU-Fraktion hat entscheidende Schwerpunkte gesetzt und dem Etat ihren Stempel aufgedrückt.“ Und auch noch im Februar hieß es: Der CDU-Kurs des sparsamen Umgangs mit Steuermitteln war richtig.“

Vier Monate später vergeht kaum ein Tag, an dem sich die CDU nicht über die Folgen ihrer nach Selbsteinschätzung außerordentlich erfolgreichen Haushaltspolitik beschwert. Dazu erklärt sie, sie hätte ja keine Ahnung gehabt, wie die Landesregierung die Globale Minderausgabe umsetzen wird und welche Ausgaben denn nun tatsächlich reduziert werden. Das ist nur deshalb zumindest zu einem Teil richtig, weil mit der Globalen Minderausgabe das Parlament sein Budgetrecht aus der Hand gegeben hat und es bewusst der Landesregierung auferlegt hat, dass diese in eigener Verantwortung und ohne Beteiligung des Parlamentes von diesem zunächst beschlossene Haushaltsansätze im Vollzug reduziert. Das Unwissen der CDU ist aber vor allem deshalb vorgetäuscht, weil in vielen Beiträgen in den Verhandlungen und im Parlament schon im Januar, als die CDU sich noch für das Sparen feiern lassen wollte, darauf hingewiesen wurde, dass diese Kürzungen die geplanten Ausgaben im Haushalt betreffen werden, die nicht gesetzlich oder vertraglich gebunden sind und bei denen die Fraktionen mit ihren Änderungsanträgen gestaltend in den Haushalt eingegriffen haben. Dies betrifft, auch das wurde deutlich formuliert, sowohl den Regierungsfraktionen als auch der CDU wichtige Projekte und Änderungsanträge. Nur zeigt sich die CDU jetzt empört darüber, dass genau das eintritt, was sie durchgesetzt hat und wovor sie sowohl Vertreter:innen der Regierungsfraktionen als auch der Landesregierung gewarnt haben.

Natürlich erklärt die CDU, sie hätte gewollt, dass in den vergangenen Jahren nicht ausgegebenen Mittel eingespart werden sollten. Allein diese Aussage zeigt, dass der CDU immer noch nicht bewusst ist, wie eine Globale Minderausgabe haushaltsrechtlich und haushaltspraktisch wirkt. Warum?

Die CDU kommentiert die von ihr durchgesetzte Globale Minderausgabe gerne mit folgendem Satz: „Die CDU-Fraktion hat Rot-Rot-Grün zum Sparen gezwungen“. Nun bedeutet Sparen ja, statt viel, lieber weniger auszugeben, um für die Zukunft etwas zurücklegen oder Schulden abzubauen und damit Tilgungslasten zu minimieren. Die CDU hat also der Landesregierung das Sparen aufgezwungen, der sie gleichzeitig vorwirft, in den letzten fünf Jahren im Durchschnitt 450 Millionen Euro pro Jahr weniger als geplant ausgegeben zu haben und damit Schulden getilgt und für die Zukunft etwas zurückgelegt, also gespart hat. Dass das nicht zusammenpasst, ist offensichtlich. Für geplante Ausgaben nicht ausgegebenes Geld ist ja auch nicht weg, es ist da und fließt in die Rücklage für künftige Haushalte oder kann zur Schuldentilgung verwendet werden.

Eine Globale Minderausgabe funktioniert aber anders, als am Ende des Jahres festzustellen, dass notwendige und geplante Investitionen aufgrund fehlender Fachkräfte, Firmen und Materialien nicht realisiert werden oder dass aufgrund der Pandemie Vorhaben nicht umgesetzt werden konnten und dadurch entstehende Jahresüberschüsse durch zusätzlich steigende Steuereinnahmen noch zusätzlich sich erhöhen.

Die CDU kritisiert also einerseits, dass nicht umgesetzte Änderungsanträge der CDU im Haushalt oder nicht realisierte aber geplante Investitionen zu Minderausgaben führen, was sie andererseits wiederum als Beleg dafür nimmt, dass man den Haushaltssumme reduzieren könne. Wer Verantwortung in der Landespolitik tragen möchte, sollte sich entscheiden können: Entweder will man, das Geld ausgegeben wird, oder man will es nicht.

Eine Globale Minderausgabe aber zwingt die Landesregierung, sich nicht darauf zu verlassen, dass Krisen wie in den letzten zwei Jahren zu Minderausgaben führen, sondern zu konkret während des Haushaltsvollzugs festgelegten Reduzierungen in den bereits genannten Bereichen nicht rechtlich verpflichteter Aufgaben. Die CDU hat also die Landesregierung nicht zum Sparen gezwungen, sondern hat den Thüringer:innen 330 Millionen Euro in Gestaltungsbereichen genommen. Das hat dazu beigetragen, dass in der Konsequenz die Minderausgaben am Ende des Jahres die Höhe der Globalen Minderausgabe nochmal übersteigen werden. Aber auch das wurde bereits vor vier Monaten an die CDU-Fraktion wie folgt adressiert:

„Sie begründen die Globale Minderausgabe wieder mit den Minderausgaben der vergangenen Haushaltsjahre. Dahinter steckt ja die Idee, dass sie die Minderausgaben der letzten Jahre durch eine Globale Minderausgabe sozusagen abfischen können, sozusagen am Ende einsammeln können. Und das ist tatsächliche ein Trugschluss, dem Sie unterliegen. Denn die Finanzministerin ist gezwungen, die Globale Minderausgabe frühzeitig im Jahr zu adressieren, konkret zu untersetzen, was dann in der Konsequenz dazu führt, dass es natürlich auch in diesem Haushaltsjahr Investitionen, Ausgabeplanungen gibt, die sich am Ende des Jahres nicht realisieren lassen können. Und die kommen dann am Ende zu den Einsparungen noch mal oben drauf. Das heißt, mit einer Globalen Minderausgabe laufen wir Gefahr, den Thüringerinnen und Thüringern, den Unternehmen in diesem Land noch mehr Geld wegzunehmen für die Aufgaben, die sie dringend zu bewältigen haben. Das ist nämlich auch der volkswirtschaftliche und haushaltspolitische Trugschluss, dem Sie bei der Globalen Minderausgabe unterliegen.“

Diesen Zusammenhang ignoriert die CDU wohl aus machtpolitischem Kalkül und die nächste Landtagswahl im Blick weiterhin und sagt immer wieder, die Landesregierung reduziere an den falschen Stellen und dürfe nicht sparen in den Bereichen Bildung, Wirtschaft, Soziales, Polizei und  Feuerwehr, nicht beim ländlichen Raum, auch nicht beim Sport oder bei Jugend, Kunst und Musik und schon gar nicht bei den Investitionen oder bei Zuschüssen an die Kommunen. All das haben Fachabgeordnete der CDU in den letzten Wochen immer wieder betont. Stellt sich dann doch die Frage, wo dann sollen die 330 Millionen Euro (die CDU forderte zuerst sogar eine globale Minderausgabe von 500 Millionen Euro) dargestellt werden? Und man fragt sich, ob diese Frage auch nur ein Abgeordneter der CDU in den internen Fraktionsberatungen einmal formuliert hat. Doch, eine Antwort bekommt man aber dann immer wieder einmal zu lesen: Das Förderprogramm Cargobike Invest, das gerne von der CDU als Ideologieprojekt der rot-rot-grünen Landesregierung bezeichnete Förderprogramm für Lastenräder, für das es im Übrigen ein von der CDU geführten Bundesregierung geschaffenes Äquivalent auf Bundesebene gibt. Aber gut. Bleibt dann nur noch die Frage offen: Woher kommen die immer noch zu kürzenden 329 Millionen Euro her?

In der CDU mag man glauben, dass man einen politisch-strategischen Vorteil erzielt habe, weil sie den Grund für die nun immer wieder an die Landesregierung, die zunehmend kommunikativ und wahlstrategisch begründet allein auf DIE LINKE und Bodo Ramelow reduziert wird, formulierte Kritik selbst geschaffen und durchgesetzt habe. Der sich selbst als designierter Spitzenkandidat seiner Partei zur nächsten Landtagswahl sehende CDU-Fraktionsvorsitzende verkennt dabei aber, dass sein Vorgänger mit einer ähnlichen Strategie politischer Verantwortungslosigkeit 2019 bereits scheiterte. Denn dieses Leugnen eigener Verantwortung und ausschließliche Schlechtreden („Zukunfstbremse“, „Stillstand“, „Schlusslicht“) anderer wird nur selten honoriert. Zumal auch die Fachpolitiker:innen der CDU in zahlreichen Gesprächen derzeit merken dürften, dass sich vor allem die Initiativen und Institutionen, die die Folgen der Globalen Minderausgabe merken, diese eben nicht aus der Verantwortung entlassen, die sie haben. Bis wir erkennen, wie die CDU Verantwortung für Thüringen im Zusammenhang mit dem Haushalt für das bevorstehende Jahr 2023 versteht, werden wir aber wohl noch einige dieser Interviews und die darin enthaltenen Floskeln lesen können. Bei den nächsten werde ich dann aber einfach auf diesen Kommentar verweisen können.