Vom vermeintlichen Bruch einer Einigung, die keine mehr war

Steffen Dittes
Landtag

Am 6. Dezember 2022 äußert sich der Fraktionsvorsitzende der CDU im Thüringer Landtag in einem Interview in der Zeitung Freies Wort wie folgt: „Wenn eine Oppositionsfraktion ihre Anträge vorlegt, hat sie das Risiko, dass diese keine Mehrheit finden, aber sie hat auch die Chance, dass sie durchkommen. Ich weiß nicht, wie sich die anderen Fraktionen verhalten. Uns sind unsere Anträge wichtig, mit denen Krisenvorsorge betrieben und die Zukunftsfragen des Landes angegangen werden.“

Nicht einmal drei Wochen später moniert Voigt an gleicher Stelle, dass Rot-Rot-Grün im Landtag einen Antrag „stumpf durchgestimmt” habe. Das könne man machen, werde aber Folgen haben. „Diese Abstimmung wird noch eine Rolle spielen", sagte er.

Das erste Zitat stammt aus der Zeit, in der sich die CDU noch weigerte, mit den Fraktionen DIE LINKE, SPD und Grüne über den Landeshaushalt 2023 zu reden und zu verhandeln, vielmehr mit der Möglichkeit von Stimmen der extrem rechten AfD abhängigen Änderungen am Haushaltsentwurf bei offenen Abstimmungen kokettierte. Das zweite Zitat ist die Reaktion auf eine Abstimmung zu einem Änderungsantrag von LINKE, SPD und Grüne zur Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses, der aufgrund von Abwesenheiten bei CDU und AfD eine Mehrheit im Parlament erfahren hat. Dazwischen lagen die Verhandlungen von #r2g mit der CDU und eine Einigung, die am Ende gar keine war.

Am 12. Dezember 2022 einigten sich nach wochenlangem Stillstand in den Haushaltsberatungen die Fraktionsvorsitzenden und Haushaltspolitischen Sprecher der Fraktionen DIE LINKE, SPD, Grüne und der CDU auf einen umfangreichen Katalog von Änderungen am Haushaltsentwurf. Vereinbart wurde, dass durch die Fraktionen bereits eingereichte Änderungsanträge aufrechterhalten, geändert oder zurückgezogen werden und die verbliebenen jeweils die Zustimmung aller vier Fraktionen erhalten sollen. Gemeinsame Änderungsanträge wurden nicht vereinbart. Darüber hinaus wurde vereinbart, dass Änderungsanträge der AfD oder der bis dahin noch bestandenen zwei parlamentarischen Gruppen keine Zustimmung durch eine der Verhandlungspartner erhielten. Die CDU behielt sich vor, sich gegebenenfalls zu diesen zu enthalten. Auf Grundlage dieser Verabredung fand dann am 16. Dezember der Haushalts- und Finanzausschuss statt. In der Sitzung wurden alle noch verbliebenen Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen und der CDU jeweils gemeinsam beschlossen und am Ende stimmten die Abgeordneten der LINKEN, der CDU, der SPD und der Grünen für den so geänderten Haushaltsentwurf der Landesregierung und empfahlen dem Landtag die Annahme der sogenannten Beschlussempfehlung. Über diese sollte der Landtag in einer außerordentlichen Sitzung am 22. Dezember entscheiden.

Abweichend von der erzielten Einigung und ohne vorherige Absprache mit der Koalition reichte die CDU vier den Haushaltsvollzug gestaltende Entschließungsanträge sowie zwei Änderungsanträge zur Beschlussempfehlung ein. Unter den Entschließungsanträgen einer, der den Familiennachzug von Verwandten ersten Grades zu dauerhaft bleiberechtigten Afghanen auf deren eigene Kosten, das vom Bund bewilligte sogenannte Landesaufnahmeprogramm, noch verhindern sollte. Hierzu wurde aber bereits in den vorangegangenen Haushaltsverhandlungen eine Vereinbarung erzielt, die die Kostenlasten im Rahmen des Haushaltes nochmals klarstellte, das Programm aber selbst nicht mehr in Frage stellte. Ein weiterer Antrag forderte die Einrichtung einer Kommission, die zuvor in den gemeinsamen Verhandlungen bereits verworfen wurde. Schon mit den sechs ohne vorherige Absprache eingereichten Anträge hatte die CDU die ursprüngliche Verabredung mit den Koalitionsfraktionen in Frage gestellt und spekulierte auf Mehrheiten jenseits der rot-rot-grünen Fraktionen. Zudem kündigte die CDU an, einem Antrag der Gruppe der FDP zu Eckwerten der Haushaltskonsolidierung zustimmen zu wollen. Auch hier wurde die zwischen den Fraktionsvorsitzenden getroffene Verabredung aufgelöst.

Die Koalitionsfraktionen verabredeten ihrerseits nur Anträge einzubringen, bei denen vorher die CDU Zustimmung oder Enthaltung signalisierte. Die Absprache hierzu erfolgte über die jeweiligen Fachabgeordneten.

In seiner Rede am 22. Dezember vor dem Thüringer Landtag in der sogenannten Generaldebatte kündigte Mario Voigt überraschend an, dass die CDU-Fraktion dem Haushalt nun nicht mehr zustimmen wolle. Seine Fraktion aber werde sich enthalten und der Haushaltsentwurf der Landesregierung inklusive der auch von der CDU in die Verhandlungen eingebrachten Änderungen könne somit das Parlament passieren. Nach der Vorstellung der CDU sollten also die Abgeordneten von LINKE, SPD und Grüne die mit der CDU auch in einzelnen Positionen gefundene und gerade noch erträgliche Kompromisse und ausdrückliche CDU-Projekte im Haushalt alleine beschließen. In der Debatte wurde dieses politische Agieren deutlich kritisiert. Es sei weder verantwortungsvoll, noch sei die CDU damit ein verlässlicher Partner mit der notwendigen Verbindlichkeit bei Verhandlungen und Absprachen. Warum man sich als Abgeordneter zu einem Haushaltsentwurf, dem man selbst mit verhandelt und geeint habe, am Ende enthalten solle, war offenkundig auch vielen CDU-Abgeordneten unklar. Ein nennenswerter Teil der CDU-Fraktion verließ vor der Abstimmung den Landtag oder reiste erst gar nicht zur Sondersitzung an. Die Folge war, dass die eigentliche Minderheitskoalition zur entscheidenden Sitzung des Landtages zum Haushalt praktisch über eine parlamentarische Mehrheit verfügte. Ein großes Risiko für die CDU. Einerseits mit der Ankündigung der CDU, dem Haushalt ohnehin nicht zustimmen zu wollen und andererseits mit der Tatsache einer Mehrheit für Rot-Rot-Grün hätte die Koalition ohne weiteres den Haushalt um unbeliebte CDU-Projekte erleichtern und um bislang nicht mehrheitsfähige #r2g-Projekte erweitern können. Obwohl es an vielen Stellen Anlass und Gründe gegeben hätte, so beispielsweise bei den Mitteln für Integrationsförderung, hat dies die Koalition bis auf eine Ausnahme nicht getan.

Ausschließlich ein Antrag wurde vor Abschluss der Debatte noch eingereicht: Die Rücknahme der Kürzung im Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit um 400.000 Euro. Diese Kürzung hat in der Zivilgesellschaft, aber auch in vielen Institutionen, bei Gewerkschaften und Verbänden eine Welle der Empörung ausgelöst. Etwa 100 Menschen demonstrierten vor dem Landtag gegen die Kürzungsvorhaben. Auch die durch die Kürzung des Demokratieprogrammes begünstigten Volkshochschulen waren darüber alles andere als glücklich.

Über diesen Antrag wurde aber nicht – wie der CDU-Fraktionsvorsitzende behauptet – „stumpf durchgestimmt“. Es kam zu mehreren sehr kurzen Verständigungsrunden der vier Fraktionsvorsitzenden am Rande der Plenarsitzung wenige Minuten vor den Abstimmungen über sämtliche Änderungs- und Entschließungsanträge sowie über den Haushalt. In den Gesprächen wurde dem CDU-Fraktionsvorsitzenden deutlich gemacht, dass er mit den Änderungs- und Entschließungsanträgen seiner Fraktion, der angekündigten Zustimmung zu einem Antrag der FDP und mit der nun angekündigten Enthaltung zum Haushaltsentwurf die CDU mehrfach die getroffene Vereinbarung breche. Der seitens der Koalitionsfraktionen nach inhaltlicher Prüfung unterbreitete Vorschlag, den zwei Änderungsanträgen der CDU zum Haushalt gemeinsam zuzustimmen, ebenso zwei der vier Änderungsanträge durch Enthaltung der Koalitionsfraktionen zur Mehrheit zu verhelfen, dafür aber auch die Kürzung des Demokratieprogramms gemeinsam bzw. durch Enthaltung der CDU wieder rückgängig zu machen, wurde durch Mario Voigt abgelehnt. Er erinnerte an die Verabredung, die es einzuhalten gelte (sic!). Dies aufgreifend wurde durch die Koalitionsfraktionen vorgeschlagen, auf sämtliche Änderungs- und Entschließungsanträge zu verzichten, weil nur so die Einhaltung der ursprünglich getroffenen Vereinbarung durch alle Fraktionen sichergestellt ist. Auch dies wurde durch Mario Voigt abgelehnt. Zwei Entschließungsanträge, darunter auch der zum Landesaufnahmeprogramm, wurden durch die CDU zurückgezogen. Voigt bestand aber weiterhin auf jeweils zwei Änderungs- und Entschließungsanträge seiner Fraktion, die abzustimmen seien.

Im Ergebnis dieser zwei gescheiterten Versuche, erneut eine Einigung mit der CDU zu erzielen, entschieden die Abgeordneten der Fraktionen DIE LINKE, SPD und Grüne in einer kurzfristig einberufenen gemeinsamen Sitzung, auch an ihrem Antrag festhalten und über diesen – sicher auch mit Blick auf die absehbare Mehrheit – abstimmen zu wollen. Sie entschieden aber auch, zwei Änderungsanträgen der CDU zuzustimmen sowie einem Entschließungsantrag der CDU durch Enthaltung zur Mehrheit zu verhelfen.

Anschließend wurde der Thüringer Landeshaushalt für das Jahr 2023 mit Mehrheit beschlossen. LINKE, SPD und Grüne stimmten für den Haushalt, die CDU-Abgeordneten enthielten sich, während alle weitere Mitglieder des Landtages gegen den geänderten Haushaltsentwurf der Landesregierung stimmten.