Feststellung des Vorliegens einer konkreten Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage im Freistaat Thüringen gemäß § 28 a Abs. 8 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)

Steffen Dittes
RedenSteffen Dittes

Zum Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 7/5160

 

Sehr geehrter Herr Voigt, gestatten Sie mir, dass ich Sie am Beginn meiner Rede anspreche: Sie haben vor einer Woche öffentlich gesagt, es ist Zeit, die Perspektive für die Menschen und nicht das Virus zum Ausgangspunkt der Politik zu machen; wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben. Ich möchte Ihnen darauf antworten, Herr Voigt: Seit zwei Jahren leben die Menschen mit dem Virus. Sie schützen sich, schützen andere, indem sie sich an Regeln halten, die sie zum Teil befürworten, zum Teil als zu weitgehend kritisieren, aber auch zum Teil als zu kurzgreifend ablehnen. Sie haben in ihrem alltäglichen privaten Leben sich ein persönliches Risikomanagement angeeignet, indem sie genau ihre Gesundheit und die ihrer Verwandten und Freunde sichern, und trotzdem ist fast ein Viertel der Thüringerinnen und Thüringer in den letzten zwei Jahren an Corona erkrankt. Sie sind behandelt worden in Krankenhäusern, sie sind gepflegt worden von Verwandten, von Freunden, sie wurden versorgt von Arbeitskolleginnen und -kollegen und über 6.800 Menschen sind in Thüringen gestorben. Wenn Sie ernsthaft die Perspektive der Menschen in diesem Land zum Ausgangspunkt der Politik machen, dann hören Sie auf, diesen Menschen heute zu sagen, dass diese lernen sollen, mit dem Virus zu leben.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Ich will Ihnen an dieser Stelle auch noch etwas zur Perspektive der Menschen sagen, die weit über Ihre Perspektive hinaus reicht, Sie haben es wahrscheinlich gelesen, aber Sie ignorieren es einfach: In einer gestern veröffentlichten Umfrage befürworten 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik die Fortführung der Maskenpflicht, 65 Prozent der Menschen sagen, eine vollständige Aufhebung aller Schutzmaßnahmen im öffentlichen Raum ist viel zu früh, ist eine verfrühte Entscheidung der Politik. Sie ignorieren

 

(Unruhe CDU)

 

– doch, ich komme noch darauf zurück – genau diese Perspektive, aber behaupten, dass Sie hier mehrheitlich für die Perspektive eintreten, beispielsweise der 11 Prozent, die sagen, man könne auf die Maske im öffentlichen Raum und auch in Innenräumen verzichten. Ich will Ihnen auch sagen, warum die Menschen tatsächlich zu dieser Erkenntnis kommen, weil sie erfahren haben, auch gestützt auf Studien, die veröffentlicht worden sind, aber eben auch aufgrund von persönlichen Erfahrungen in ihrem Lebensumfeld, dass das Tragen einer FFP2-Maske das Infektionsrisiko um 99 Prozent reduziert. Das ist die Faktenlage, Sie wollen darauf verzichten und den Menschen tatsächlich den Schutz nehmen.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Das stellt doch keiner infrage!)

 

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, Gruppe der FDP: Das hat ja keiner verboten!)

 

Ich komme auf einige Ihrer Zwischenrufe noch zurück.

 

Wir brauchen über das Bundesgesetz eigentlich nicht zu reden, Herr Ministerpräsident Ramelow hat vieles dazu im Bundesrat gesagt, auch heute hier im Landtag. Das unterstreiche ich alles. Aber es ist doch wirklich perfide und auch nicht ganz der Wahrheit entsprechend, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, die Thüringer Landesregierung, die rot-rot-grüne Koalition möchte einen Sonderweg im Spiel der Bundesländer gehen. Das ist doch nur die halbe Wahrheit. Herr Voigt, bei der Ministerpräsidentenkonferenz, ich glaube, am 17. oder 18. März haben 16 Ministerpräsidenten eindringlich den Bundestag und auch die Bundesregierung davor gewarnt, dieses Bundesgesetz zu beschließen, weil es eben eine Aufhebung des notwendigen Infektionsschutzes beinhaltet. Noch in der vergangenen Woche haben vier Ministerpräsidenten Ihrer Partei gemeinsam mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten den Gesundheitsminister angerufen und haben gebeten, sorge dafür, dass wir über den Basisschutz hinausgehende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung über den 2. April beibehalten können. Ihr Ministerpräsident in Sachsen wollte auch über den 2. April hinaus tatsächlich Schutzmaßnahmen in Sachsen verlängert wissen, weil er das aufgrund seiner Erfahrungen, aufgrund der Expertise, die in seiner Landesregierung enthalten ist, für notwendig erachtet hat. Und was macht der sächsische Fraktionsvorsitzende der CDU? Dasselbe, was Sie gemacht haben: Noch bevor die Fraktion zusammenkommt und miteinander diskutieren kann, wird öffentlich verkündet, an uns wird eine Fortsetzung dieser notwendigen Schutzmaßnahmen scheitern. Das macht deutlich, dass eben nicht die Auseinandersetzung in der Sache und eine fachliche Bewertung Grundlage sind, sondern eine politische strategische Entscheidung, die wie auch immer begründet dafür sorgen soll, dass die Menschen sich selbst überlassen werden – darauf komme ich gleich noch zurück.

 

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Trotzdem …)

 

Herr Montag, es wäre vielleicht besser gewesen, wenn Sie gesprochen hätten.

 

(Zwischenruf Abg. Montag, Gruppe der FDP: Ich komme noch, keine Sorge!)

 

Ich bin sehr gespannt.

 

Aber es ist bislang im Redebeitrag der FDP-Gruppe deutlich geworden, dass Sie überhaupt nicht verstanden haben, wofür Sie im Bundestag eigentlich Mitverantwortung haben. Wir haben nämlich nicht nur die Pflicht, die konkrete Gefahr in Thüringen festzustellen, sondern wir haben die gesetzgeberische Pflicht, zu prüfen, ob die konkrete Gefahr dadurch bestimmt ist, dass die Überlastung der Krankenhauskapazitäten droht, und dafür sprechen vier Kriterien, die alle – und das haben Ihnen viele Redner hier schon gesagt – in Thüringen zutreffend sind. Das ist die Verschiebung planbarer Eingriffe in Krankenhäusern wegen Corona, das ist die Gefährdung der Notfallversorgung, das ist das Unterschreiten von Personaluntergrenzen im Pflegebereich und es ist der Zwang zur Verlegung von Patienten in andere Krankenhäuser. Deswegen ist es sachlich falsch, Herr Kemmerich, was Sie hier gesagt haben, dass Sie eine einzelne Gemeinde heraussuchen, denn wir haben eine in Thüringen landkreisübergreifende funktionierende Krankenhausstruktur, die nun droht, gefährdet zu sein. Das hat Ihnen die Landeskrankenhausgesellschaft heute ja auch noch mal öffentlich ins Stammbuch geschrieben.

 

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, Gruppe der FDP: Konkret!)

 

Viele, die hier gesprochen und gesagt haben, es hat sich etwas in den letzten Jahren und Monaten verändert, haben ja recht. Im Dezember hat die CDU-Fraktion noch die Ausrufung des Katastrophenfalls gefordert. Nun hat sich die Situation, Herr Voigt, seit Dezember ja wirklich verändert.

 

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Delta, nicht Omikron!)

 

Deswegen schauen wir uns mal die Situation am 22. Februar 2022 an.

 

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: So macht man Politik!)

 

Dort lagen die Werte der Hospitalisierung, der Inzidenz, der ITS-Belastung – die ITS tatsächlich absolute Zahl

 

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Delta, Delta!)

 

nahezu 50 Prozent unter den heutigen Werten. Wissen Sie, was Sie am 22. September unterschrieben von Ihrem Abgeordneten Herrn König in den Thüringer Landtag als Forderungskatalog eingereicht haben? Ich will Ihnen kurz drei Punkte

 

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Delta-Variante!)

 

vorlesen:

 

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Außen Abstand halten, innen Maske tragen und Zugangsbeschränkungen dort, wo keine Masken getragen und Abstände nicht eingehalten werden können. Das war die Position, die Ihre Fachpolitiker vor einem Monat, als die Werte noch 50 Prozent unter den Werten von heute lagen, als fachlich begründet in die parlamentarische Beratung eingebracht haben und deren Umsetzung Sie von der Landesregierung verlangt haben.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Das ist ein medizinischer Witz, was Sie hier vortragen!)

 

Das haben Sie aufgegeben. Herr König, da möchte ich Sie fragen: Was hat sich denn seit dem 22. Februar verändert?

 

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Die Variante!)

 

Denn alles, Abstand, innen Masken tragen, Zugangsbeschränkung und sogar Hygieneschutzkonzepte an Hochschulen, die Präsenzunterricht oder Präsenzstudium ermöglichen, das alles wird nur möglich, wenn der Landtag heute diese Maßnahmen beschließt. Ansonsten verschwinden diese Schutzmaßnahmen am Sonntag vollständig.

Es wurde schon an mehreren Stellen hier gesagt, Sie werden das wahrscheinlich alles fachlich diskutiert haben in Ihrer Fraktion. Und dann, Herr Voigt, ich kenne Sie ja, werden Sie damit gekommen sein: Wir müssen doch die bürgerlichen Werte von Freiheit und Eigenverantwortung vertreten, wir dürfen das nicht der FDP und der AfD überlassen. Ich will Ihnen sagen, was Sie wirklich damit meinen, Eigenverantwortung zu tragen. Eigenverantwortung heißt doch, so wie Sie es formulieren: Jeder sorgt für seinen Schutz und damit ist der Schutz aller gesichert.

 

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Die besonders Schützenswerten müssen geschützt werden!)

 

Das funktioniert aber auch nur dann, wenn alle Menschen dieselben Möglichkeiten haben, sich für sich persönlich den Schutz herzustellen, und es funktioniert auch nur dann, wenn alle dasselbe Schutzniveau brauchen. Das ist aber nicht der Fall. Es gibt Menschen, die haben weniger Möglichkeiten, sich zu schützen, und es gibt Menschen, die brauchen deutlich mehr an Schutzmaßnahmen um sich herum. Es ist ein Trugschluss, Herr Voigt, wenn Sie sagen, die besonders schützenswerten, die vulnerablen Gruppen wären nur die in den Einrichtungen.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Es gibt viele Tausende, Hunderttausende schützenswerte Menschen, die jeden Tag in die Einkaufsläden gehen,

 

(Unruhe CDU)

 

die in Schulen gehen, die in Bildungseinrichtungen gehen. Und zur Freiheit, Herr Kemmerich, gehört dazu, auch die Freiheit haben zu müssen, in eine Gaststätte zu gehen und die Freiheit haben zu müssen, in ein Museum zu gehen.

 

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Kann man doch!)

 

(Zwischenruf Abg. Lehmann, SPD: Kann man nicht, wenn man sich nicht impfen lassen kann!)

 

Es ist doch kein Freiheitsbegriff, wenn man sich als FDP-Abgeordneter hierhinstellt und sagt: Das müssen sie ja nicht machen. Das ist nicht die Freiheit.

 

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Deswegen ist für uns, Herr Voigt, die Frage eben nicht Eigenverantwortung als alleinstehendes Schutzprinzip,

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

sondern für uns ist die Frage Eigenverantwortung und solidarische Gemeinschaft, wo auch für den Schutz derer gesorgt wird, die mehr Schutz benötigen und weniger Möglichkeiten haben, für sich selbst den Schutz herzustellen.

 

Dann kommen Sie auf die absurde Erzählung, nicht der Virus ist dafür verantwortlich, dass beispielsweise das KKH ein Drittel der Betten nicht belegen kann, es sind die Vorschriften. Und dann muss man sich zweimal eigentlich Ihren Antrag durchlesen, in dem Sie fordern, die Quarantäneanordnungen sind so zu gestalten, dass Personalausfälle zu vermeiden sind.

 

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die sollen alle krank arbeiten?)

 

Meine Damen und Herren, überlegen Sie mal, was Sie da formulieren. Ich finde, Quarantäneanordnungen und Absonderungsempfehlungen sollen so ausgestaltet sein, dass sie wirksam dem Infektionsschutz entsprechen.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Aber ich kann doch nicht irgendwie eine Quote einführen, um zu sagen, wir müssen die Regeln so gestalten, dass am Ende irgendwie noch genug zur Arbeit kommen.

Meine Damen und Herren, es wurde schon angesprochen: Heute ist der Tag, wo jeder Abgeordnete wirklich noch mal in Artikel 53 der Thüringer Verfassung hineinschauen und die dort verankerte freie Gewissensentscheidung überprüfen sollte.

Meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, lassen Sie sich nicht leiten von politisch-strategischen Überlegungen Ihres Fraktionsvorsitzenden!

 

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Sagen diejenigen, die ein Sonderplenum beantragt haben!)

 

Lassen Sie sich leiten und beziehen Sie in Ihre Abwägungen die heute gehörten vorgetragenen Argumente mit ein. Beziehen Sie mit ein, was Sie in Ihren Wahlkreisen hören von Ihren Wählerinnen und Wählern. Beziehen Sie die Stellungnahmen der Sozialverbände, denen Sie ja zum Teil angehören und auch vorstehen, ein.

 

Präsidentin Keller:

 

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

 

Abgeordneter Dittes, DIE LINKE:

 

Ich bin am Abschluss meiner Aufzählungen.

 

(Unruhe CDU)

 

Beziehen Sie die Informationen der Krankenhausgesellschaft, die Mails der Lehrer, die Sie bekommen,

 

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Davon habe ich genug gehört in meinem Leben!)

 

die Entscheidung des Landrats im Wartburgkreis, der Maskenpflicht zur Kreistagssitzung angeordnet hat,

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

mit ein und beziehen Sie auch die Erwartungen der Kommunen mit ein. Ich finde, wir haben im Thüringer Landtag – und damit komme ich zum Schluss – die Aufgabe,

 

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Redezeit!)

 

der Verantwortungslosigkeit des Bundestags nicht zu folgen, sondern wir haben die Verantwortung, für einen ausgewogenen, verhältnismäßigen Schutz für die Menschen zu sorgen. Vielen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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