Berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit von Bodycams ernst nehmen!

In der heutigen Ausgabe der TLZ heißt es, die Linksfraktion würde wegen ihrer kritischen Haltung zu Bodycams Anstrengungen des Innenministers für mehr Sicherheit in Thüringen torpedieren. Dazu äußert Steffen Dittes, innenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag: „Die Bodycam ist ein erheblicher Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Sie wird von Datenschützern zurecht kritisiert und ihre Wirksamkeit konnte bislang nicht belegt werden, statt dessen weisen europäische Untersuchungen sogar einen Anstieg von Übergriffen gegen Polizisten mit Bodycams aus. Aktionismus, immer neue Eingriffsbefugnisse und ein Vortäuschen von mehr Sicherheit helfen weder den Beamten noch den Bürgern.“

DIE LINKE unterstützt den Schutz von Polizeibeamtinnen und -beamten in Thüringen, z.B. in Form von Schutzbekleidung und Ausrüstung. In diesem Jahr schafft Thüringen neue Helme, ballistische Schutzwesten und Körperschutz für rund 15 Millionen Euro an. Ein mehr an Sicherheit ergibt sich jedoch weder durch Gesetzesverschärfungen noch durch die Einführung einer Bodycam. „Wenn die Stärkung der Sicherheit von Polizisten tatsächlich das Ziel sein soll, dann stehen auch Innenminister, Medien und Gesellschaft gleichermaßen in der Verantwortung, sich mit den bisher vorliegenden Studien über den Einsatz von Bodycams und ihren Auswirkungen zu befassen, die gerade nicht mehr Sicherheit versprechen.“ Dittes verweist auf eine Studie von Wissenschaftlern der University of Cambridge und RAND Europe aus dem letzten Jahr, die über 2,2 Millionen Arbeitsstunden von mehr als 1200 Polizisten in 10 unterschiedlichen Tests durchgeführt hat und zum Ergebnis kommt, dass Bodycamträger 15 Prozent häufiger Übergriffen ausgesetzt waren.

 

Der Abgeordnete weiter: „Datenschutzbeauftragte anderer Bundesländer, darunter Niedersachsen, Baden-Württemberg, Rheinland Pfalz und Hessen haben zuletzt an dem Einsatz von Bodycams oder Pilotversuchen Kritik wegen intransparenten Vorgehensweisen, Tonaufnahmen, Speicherfristen und Vorratsdatenspeicherungen oder weil die Geräte nach Ende von Pilotversuchen einfach weitergenutzt wurden, geübt“. Die hessische Datenschützerin Barbara Dembowski, die für den dortigen Pilotversuch 2013 zuständig war und diesen erst positiv begutachtete, äußerte sich vor einigen Monaten wie folgt im Deutschlandfunk „Also das hat mit dem, wie das ursprünglich angefangen hat, weswegen wir auch diese Modellversuche wohlwollend begleitet haben, nicht mehr so viel zu tun. Das ufert eigentlich in eine permanente Dauerüberwachung aus.“ Erst gestern hat der niedersächsische Datenschutzbeauftragte den im Dezember 2016 gestarteten Pilotversuch mangels dortiger Rechtsgrundlage als „rechtswidrig“ förmlich beanstandet. Juristenverbände kritisierten wiederholt, dass die Bodycam kein Instrument der Prävention, sondern der Strafverfolgung sei und damit eine rechtliche Grundlage fraglich ist.

Mit Blick auf den in Thüringen geplanten Pilotversuch äußert der Abgeordnete skeptisch: „Wir halten diesen für nicht erforderlich. Ein Problem bei den Pilotversuchen anderer Bundesländer ist, dass diese mangelhaft und teilweise nicht repräsentativ messbar durchgeführt wurden. So wurde in einem sechsmonatigen Versuch in Hessen eine Kamera nur einen Monat getragen, wo sonst in Bremen und Hessen nur zwei Beamte im Einsatz waren, waren plötzlich Beamte in einer Gruppe von bis zu vier in Personen mit Kamera unterwegs – das führt zu einem trügerischen Bild. Es gab methodische Probleme durch fehlende Kontrollgruppen, auch mangelte es an externer wissenschaftlicher Begleitung.“ Häufig wird auf das Vorreiterland Hessen und einen Rückgang der Widerstandshandlungen um 38 Prozent verwiesen, weil beim dortigen Pilotversuch nur noch 25 statt 40 Fälle gezählt wurden. Dittes weiter: „Tatsächlich erreichte auch das Weimarer Land 2015 einen Rückgang von 38 Prozent bei den Widerstandshandlungen, ohne das dort nur eine einzige Bodycam im Einsatz war. In ganz Thüringen nahmen 2015 im Widerspruch zur öffentlichen Wahrnehmung und ohne Bodycam Widerstandshandlungen gegen Polizisten um 22 Prozent ab. Gerade solche Widersprüche sollten Anlass sein, nicht durch mehr Aufrüstung in die Grundrechte der Bürger einzugreifen, sondern nachhaltig die Gründe für Übergriffe gegen Polizisten zu erforschen, um auch die Aus- und Fortbildung der Polizei beim Umgang und Verhüten von Gewaltsituationen noch weiter zu verbessern und so zum Schutz der Bediensteten beizutragen.“